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Frühstück mit Hindernissen


Menschen mit körperlichen Einschränkungen fällt es schwer, selbst einfache Dinge des Alltags zu verrichten. 30 angehende Sozialassistenten der DPFA Chemnitz haben am eigenen Leib erfahren, wie es ist, eine Mahlzeit einnehmen zu wollen, wenn man halbseitig gelähmt, blind oder anderweitig behindert ist. So mancher scheiterte bereits am Brötchenschmieren.

Der Frühstückstisch ist toll eingedeckt. Es gibt Brötchen und allerlei Leckereien zum Belegen. Es riecht nach frisch gekochtem Kaffee. Doch die Blicke der rund 30 jungen Leute, die sich zum gemeinsamen Essen verabredet haben, sind skeptisch. Wer näher hinschaut, merkt auch, warum das an diesem Morgen so ist: Judy ist blind, Lea einseitig gelähmt, Nino fehlen drei Finger an der rechten Hand – seine Sitznachbarin Celine reagiert nicht auf ihn, wie auch. Sie ist taub.

Nun wird es richtig kompliziert: Wie das Brötchen schmieren mit nur einer Hand? Wie die Tasse heißen Kaffee zum Mund führen mit den fehlenden Fingern? Wie die Butter überhaupt erst finden, wenn man nichts sieht? Mist, das Messer ist runtergefallen – aber wie bücken mit der schweren Arthrose?

Geschafft! Die Butter ist schon mal drauf – trotz Behinderung an der Hand. Foto: DPFA Chemnitz
Geschafft! Die Butter ist schon mal drauf – trotz Behinderung an der Hand. Foto: DPFA Chemnitz

Die Perspektive des Anderen einnehmen

Was nach einer schicksalsgebeutelten Gruppe aussieht, stellt sich zum Glück als praktische Übung im Rahmen der Ausbildung zum Sozialassistenten an der DPFA Chemnitz heraus. Mit reichlich Klebe- und Kreppband, mit Augenbinde und Kopfhörern haben sich die Schüler des zweiten Ausbildungsjahres all ihre Handicaps selbst „zugefügt“.

Später, wenn sie in ihrem Beruf arbeiten werden, brauchen sie genau diese Erkenntnisse, die sie hier an diesem Vormittag sammeln werden, um ihre Arbeit fachkundig ausführen zu können: Wie fühlt es sich an, wenn Menschen körperlich – aber auch geistig – stark eingeschränkt sind und welche Hilfestellung benötigen sie? Das gelingt am leichtesten, wenn man diese Erfahrung in gewisser Weise teilt – oder zumindest nachvollziehen kann.

Nach der Ausbildung zum staatlich geprüften Sozialassistenten verfügen die Absolventen über wichtige Grundlagen aus den Bereichen Erziehung, Pflege bzw. Altenpflege sowie für die Arbeit mit sozial, psychisch oder körperlich benachteiligten Menschen.

Das Übungsfrühstück vereinte dabei gleich mehrere der insgesamt acht Lernfelder der zweijährigen Ausbildung (mit Abitur ein Jahr) auf einmal: Die Beobachtung als Grundlage sozialen Handelns zu nutzen, Menschen bei der Bewältigung des Alltags zu unterstützen und die Pflege von Menschen in Gesundheit und Krankheit zu unterstützen.

Frust über Hilflosigkeit

Die angehenden Sozialassistenten sind jedenfalls nachhaltig beeindruckt von ihrer praxisnahen Übung. „Ich habe mich unsicher und hilflos gefühlt, fast wie ein kleines Kind“, wertet eine Schülerin das Unterrichtsfrühstück aus. Ähnlich äußern sich in der Feedbackrunde auch ihre Mitschüler.

  • „Ich war überfordert, weil ich es nicht geschafft habe, das Brötchen allein aufzuschneiden, sondern auf Hilfe angewiesen war“, so ein weiterer Schüler.
  • „Ich war frustriert und habe mir aufs T-Shirt gekleckert“, ergänzt seine Banknachbarin.
  • „Ich musste bei allen Dingen, die ich mir sonst wie selbstverständlich vom Tisch nehme, jemanden um Hilfe bitten“, resümiert die „blinde“ Schülerin.

Doch viele von ihnen sagen im Anschluss an das Experiment auch: Am Anfang fiel alles schwer, mit etwas Übung, Geduld, Ausdauer und Hilfestellungen sind sie dann aber alle satt geworden. „Man kann sich an die Einschränkungen gewöhnen – im wahren Leben muss man es ja auch. Man versucht, durch andere Körperteile die fehlenden Fertigkeiten bzw. die Behinderung zu kompensieren. Man muss Strategien suchen, damit klarzukommen“, so eine Schülerin.

Beobachten, helfen, Selbstwert steigern

Doch welche Aufgabe kommt ihnen dann im späteren Beruf zu? Fachlehrerin Ina Goetz gibt ihren Schülerinnen und Schülern einen Aspekt zum Nachdenken mit auf den Weg: „Trotz der Hilfsbedürftigkeit dürfen Sie die Menschen nicht unterschätzen. Beobachten Sie zunächst. Lassen Sie den zu Betreuenden vor allem Zeit, etwas zu tun. Ihre Aufgabe ist zwar, Hilfestellung zu geben, aber auch, die Selbstständigkeit des zu Pflegenden und damit dessen Bewegungsfreiheit zu erhalten bzw. zu fördern.“

Ina Goetz verweist noch auf einen anderen Gesichtspunkt – den des Selbstwertgefühls der Menschen mit Einschränkungen. Sie rät dazu, die zu Betreuenden zu ermutigen, noch so viel wie möglich selbst zu meistern – und ihnen dadurch Erfolgserlebnisse zu verschaffen. „Wenn mir etwas zugetraut wird, dann macht das was mit mir.“

 

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